Das Jahr war 2014. Veronica Nilsen, aus der Küstenstadt Bergen, hatte vor kurzem auf ein anderes Schiff innerhalb der Flotte ihres Unternehmens gewechselt. Ihre Hauptaufgaben lagen im Restaurant, doch als der Abend zur Neige ging, zog es sie oft zur Bar. Es war jedoch nicht der Absacker, der sie dorthin lockte; vielmehr genoss sie, wie eine echte Nachteule, die stille Ruhe der Nacht nach einem geschäftigen Arbeitstag. In dieser Atmosphäre traf sie Lise aus Arendal an der Südküste Norwegens, die mit ihrer Nachtschicht beschäftigt war und nach den Gästen des Tages aufräumte. Für Veronica war es selbstverständlich, Hilfe anzubieten, da sie ohnehin schon da war. Was als spontane Hilfe begann, entwickelte sich bald zu bedeutungsvollen Gesprächen. Nacht für Nacht wurden diese Gespräche zu einem festen und geschätzten Teil ihrer Routine, was die späten Stunden zum angenehmsten Teil ihres Tages machte.
„Von dem Tag an, als wir uns trafen, wusste ich, dass es etwas Besonderes war. Ich hatte schon viele enge Freunde in meinem Leben, aber noch nie eine Verbindung wie diese. Es ist selten, jemanden zu finden, der dich wirklich versteht und immer für dich da ist“, sagt Veronica.
Neben ihr, auf einem Drehstuhl in der Havblikk Bar & Lounge an Bord der Havila Pollux, nickt Lise zustimmend, ihr Lächeln spiegelt ein tiefes Verständnis wider. „Wir haben viele ähnliche Erfahrungen gemacht. Zum Beispiel haben wir beide auf fast die gleiche Weise geliebte Menschen verloren. Wir können über alles sprechen – über unsere Freuden und Sorgen – und es besteht das Vertrauen, dass alles, was wir teilen, unter uns bleibt“, fügt sie hinzu.
Schwesterliche Bindung
Es gibt eine auffallende Ähnlichkeit in der Art, wie sie sitzen – auf den vorderen Kanten ihrer Stühle, mit geradem Rücken, die Hände im Schoß gefaltet, die Beine dicht nebeneinander. Beide sind blond, ihr Haar identisch zu Duttfrisuren auf dem Kopf gesteckt.
Während sie miteinander sprechen, spiegelt ihre Körpersprache einander wider. Das wirft die Frage auf: Haben sie sich schon immer so synchron bewegt, oder hat die eine es von der anderen übernommen?
Selbst wenn ihre Blicke zwischen dem Interviewer und einander hin und her wandern, ist deutlich zu erkennen, dass sie ihre Umgebung aufmerksam im Blick haben und jedes Detail sogar aus den Augenwinkeln wahrnehmen. „Wir sind uns unglaublich ähnlich. Unsere Gedanken, unsere Werte, fast alles, worüber wir sprechen – es stellt sich immer wieder heraus, dass wir fast exakt die gleichen Erfahrungen gemacht haben“, teilt Veronica mit.
Ihre Gespräche überschneiden sich oft, da sie auf natürliche Weise die Gedanken der anderen vervollständigen. „Wir sind so ähnlich, dass selbst unsere Eltern darüber nachgedacht haben. Mein Onkel verbrachte sein Leben auf See“, sagt Lise mit einem Lächeln. „Und mein Vater auch“, fügt Veronica hinzu. „Es lässt einen wirklich nachdenken – vielleicht sind wir tatsächlich biologische Schwestern. Wir haben schon gescherzt, dass wir völlig in Ordnung damit wären, wenn wir gemeinsames DNA entdecken würden“, sagt sie lachend. Lise nickt zustimmend: „Ich habe mehr Kontakt zu Veronica als zu meinen eigenen Geschwistern. Wir verbringen viel Zeit zusammen an Bord und bleiben ständig in Verbindung, auch wenn wir getrennt sind.“
Lise und Veronica nutzen ihre freie Zeit bei der Arbeit optimal, wie die Bilder unten zeigen. In den sozialen Medien bezeichnen sie sich selbst als die „fröhlichen Gesichter“.
„Ein Gesamtpaket“
Etwa fünf Jahre nach ihrem ersten Kennenlernen mussten Veronica und Lise zu einer anderen Reederei wechseln, was sie jedoch nur unter einer Bedingung akzeptierten: Sie wollten zur gleichen Zeit auf demselben Schiff arbeiten. „Wir hatten Jahre, in denen wir gegensätzliche Schichten arbeiteten, und das war ziemlich herausfordernd“, erinnert sich Lise.
Glücklicherweise wurde ihrem Wunsch entsprochen. Beide wurden der Havila Pollux zugewiesen: Veronica als Oberkellnerin und Lise als Kellnerin (mittlerweile ist Veronica zur Food & Beverage Managerin aufgestiegen, während Lise jetzt als stellvertretende Zahlmeisterin arbeitet).
Ihre Freude über die Gelegenheit, gemeinsam auf einem brandneuen Schiff zu arbeiten, wurde jedoch durch eine erhebliche Verzögerung bei der Schiffslieferung getrübt. „Die Wartezeit war schwierig“, kommentiert Lise. „Wir waren auf entgegengesetzten Seiten des Landes stationiert, und aufgrund der Pandemie konnten wir uns nicht einmal besuchen. Zum Glück gab es Messenger“, fügt Veronica hinzu.
Trotz ihrer engen Bindung haben sie einander noch nicht zu Hause besucht. „Das Leben war hektisch“, erklärt Veronica. „Und nach meiner kürzlichen Trennung...“ Lise unterbricht sie, woraufhin beide in Gelächter ausbrechen. Veronica, die den Gedanken ihrer Freundin zu Ende führt, fügt hinzu: „Sagen wir einfach, unsere Telefone waren in dieser Zeit unser Rettungsanker.“
Verwirrung der Gäste
Lise und Veronica bezeichnen sich gegenseitig als Schwestern. Auch der Großteil der Crew tut das. Oft dauert es Monate, bis neue Mitarbeiter merken, dass die beiden kein einziges gemeinsames Gen teilen. Unter den Gästen ist die Verwirrung noch größer. Häufig werden die beiden Frauen für ein und dieselbe Person gehalten – obwohl sie sich nicht besonders ähnlich sehen. Dies wurde vor ein paar Jahren deutlich, als Lise in der Bar stand und Veronica im Restaurant beschäftigt war...
Ein Gast fixierte seinen Blick auf Veronica, und sie konnte seinen verwirrten Ausdruck nicht übersehen. Wie üblich, wenn ein Gast verwirrt wirkte, näherte sie sich ihm freundlich und begrüßte ihn. Der Mann fragte: „Sagen Sie, haben Sie eine Schwester?“ Veronica hielt kurz inne und dachte an ihre Schwester zu Hause in Bergen, bevor sie antwortete: „Ja, tatsächlich habe ich eine.“ Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Mannes aus, als er selbstbewusst feststellte: „Ah, jetzt verstehe ich! Sie arbeitet oben, richtig?“ Veronica folgte schnell seinem Gedankengang und antwortete: „Ja, das stimmt, sie arbeitet oben.“
Später am Abend kam derselbe Mann zu Lise an die Bar und bemerkte mit einem wissenden Grinsen: „Jetzt weiß ich es, Sie haben eine Schwester an Bord!“
Ein Scherz wurde zur Realität
Die Frauen lachen, wenn sie sich daran erinnern. „Dann nickte ich dem Mann zu und sagte ja, weil ich sofort erkannte, dass er mit Veronica gesprochen hatte. Es war nur ein Scherz, aber wir haben es weitergeführt. Es spielte keine Rolle, ob einige der Gäste dachten, wir wären Schwestern“, erinnert sich Lise. „Aber dann wurden es immer mehr Gäste. Schließlich glaubte sogar ein Teil der Crew, dass es wahr sei“, fügt Veronica hinzu.
Obwohl es als Scherz begann, ist die Realität, dass ihre schwesterliche Verbindung unbestreitbar echt ist. Wenn Lise und Veronica zusammen sind, wird die Atmosphäre leichter, das Lachen fließt frei, und sie strahlen eine positive Energie aus, die offenbar jeden um sie herum berührt – zwei Schiffskameradinnen, die zu Schwestern und Seelenverwandten geworden sind.